Berlin, 15. Mai. Mehrere Politiker melden sich zu Wort.
„Der Angriff auf einen Berliner Polizisten bei der Demonstration in Kreuzberg ist nichts anderes als ein feiger, brutaler Gewaltakt. Wer Einsatzkräfte angreift, greift unseren Rechtsstaat an – und damit uns alle.“ schreibt Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin auf X.
Seine Innensenatorin, Iris Spranger (SPD), ist erschrocken über das Ausmaß der Eskalation und schreibt auf X: „Wer das hohe Gut der Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit Hassparolen, Hetze und Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei Berlin missbraucht, stellt sich außerhalb unserer demokratischen Grundordnung.“
Auch der Bundesinnenminister, Alexander Dobrindt (CSU), thematisiert das Geschehen in seiner Rede im Bundestag: „Gestern wurde ein Polizist auf einer Anti-Israel-Demo in Berlin von aggressiven Demonstranten in die Menge gezogen und dabei schwer verletzt. Das ist leider kein Einzelfall, sondern passiert immer wieder.“
Doch was ist passiert?

Für den 15. Mai waren in Berlin mehrere Demonstrationen angemeldet – Anlass war der 77. Nakba-Gedenktag. Das arabische Wort „Nakba“ bedeutet soviel wie „Katastrophe“ und bezeichnet die in Folge der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 stattfindende Vertreibung der rund 700.000 Palästinenser*innen. Denn für sie war es eine Katastrophe: Sie verloren an diesem Tag alles und nicht weniger als ihre Heimat.
Der Nakba-Gedenktag soll an dieses Unrecht, an diese Katastrophe von damals erinnern.
Im Kontext vom 7. Oktober 2023 gewann der Tag an neuer Bedeutung. Die Forderungen nach einem Staat Palästina waren wohl nie lauter, als heute.
Die Berliner Polizei fuhr mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften vor und wurde auch von der Bundesbereitschaftspolizei unterstützt. Laut Pressemitteilung wohl mit über eintausend Kräften.
Anscheinend gab es entsprechende Gefahrenprognosen.
Die Polizei Berlin weigerte sich auf wiederholte Nachfrage, etwaige Aussagen zu diesem Polizeieinsatz zu machen. So sei meine Anfrage als Bürgeranfrage und nicht als Presseanfrage zu werten. Der Umfang meiner Anfrage sei zu groß, als dass man diese bearbeiten könne. Außerdem wolle man sich grundsätzlich nicht zu polizeitaktischen Maßnahmen äußern.
Der Einsatz und die Versammlung gingen durch die Medien. Aber nicht aufgrund des Themas der Versammlung, sondern aufgrund eines vermeintlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten der Polizei Berlin.
So sollen laut Pressemitteilung „mehrere Gewalttäter“ aus der Menge heraus „gezielt einen Polizeibeamten“ angegriffen haben. Sie sollen ihn in die Menge gezogen, zu Boden gebracht und anschließend auf ihn eingetreten haben.
Nachdem mehrere Videos der vermeintlichen Situation veröffentlicht worden sind, gab es erste Zweifel an der Aussage der Polizei.
Auf X hatte ich einen Thread erstellt, in dem ich zwei Videos analysiert habe. Angemerkt sei, dass im Nachhinein nun klar ist, das manche Aussagen die ich im Rahmen dieser Analyse getroffen habe, überholt sind.
Mittlerweile gibt es weitere Perspektiven und ein Team der Rechercheagentur Forensis hat sich intensiv mit der Situation beschäftigt. Die konkrete Analyse gibt es hier (engl.).
Das Videomaterial deckt auf, was einige, darunter ich, vermutet haben: Es gab keinen Angriff auf die Polizeibeamten.
Gegen 18:48 Uhr geht eine Gruppe von 5 Polizist*innen in die Demonstration. Sie wollen augenscheinlich einen Zugriff durchführen. Mit in der Gruppe ist der Polizist mit der Rückenkennzeichnung 24111, welcher später verletzt sein wird.
Der Polizist 24100 greift sich einen Demonstranten mit einem roten Schal und bringt diesen, gemeinsam mit 24111 und 24310 zu Boden, wo sich 24111 und 24100 dann auf ihn legen und ihn so fixieren. 24310 und 24311 versuchen die umstehenden Demonstrant*innen wegzudrücken. Die Demonstrant*innen bilden aus Platzgründen einen Halbkreis um die Festnahme. Währenddessen rückt eine weitere Gruppe Polizist*innen nach und kesselt so eine kleine Gruppe an Demonstrant*innen ein und schiebt sie in Richtung der Festnahme.
Nachdem sich die Festnahme kurz um wenige Meter verlagert hat, versucht sich die erste Gruppe zurück zu kämpfen, während die zweite Gruppe versucht einen Korridor zu schaffen.
Hinter dem Polizisten 24111, welcher immer noch am Boden auf dem Demonstranten liegt, steht ein Demonstrant* oder eine Demonstrantin*, welche*r dann vom Polizisten 24310 auf seinen Kollegen 24111 geworfen wird.
Womöglich ist das die Szene, die später von der Polizei als „in die Menge ziehen“ und „zu Boden bringen“ gewertet worden ist.
Nachdem 24310 von dem*der Demonstrant*in abgelassen hat, wendet er sich wieder zur anderen Seite und trifft dabei in einer trittähnlichen Bewegung seinen Kollegen 24111.

Dieser richtet sich daraufhin auf und fängt an, wahllos auf zwei Demonstranten mit seiner rechten Hand je 3 mal einzuschlagen. Seine Faust richtet er dabei auf Kopfhöhe der Demonstranten.
Während sich die zweite Gruppe nun von hinten nähert, tritt er eine weitere Demonstrantin, welcher einer seiner Kollegen dann noch mit zu Boden schmeißt. Außerdem boxt er ein weiteres Mal auf einen der vorigen Demonstranten ein, welcher nun ebenfalls zu Boden geht.
Ab diesem Moment ist er scheinbar an der Hand verletzt. Im folgenden verwendet er bei seinen Angriffen auf die Demonstrant*innen nur noch seine linke Faust.
Gemeinsam mit seiner Gruppe verlässt er die Demonstration wieder und hält sich seine rechte Hand vor Schmerzen. Am Gitter fängt er dann an, sich zu krümmen und wird von seinen Kollegen hinter dem Gitter zu Sanitätern geführt.
Vor dieser Situation geriet der Polizist 24111 bereits in mehrere Auseinandersetzungen mit anderen Demonstrant*innen, in welchen dieser bereits durch seine aggressive und konfliktfördernde Art auffiel.
So hat er in einer Situation ohne ersichtlichen Grund, wie im Wahn, auf den Kopf eines Demonstranten versucht einzuschlagen und hat ihn anschließend, wie bei einer Kampfeinladung, zu sich gewunken mit den Worten „komm her, komm her“.
Bis heute hat die Polizei ihre (möglicherweise bewusst) fehlerhafte Darstellung der Ereignisse nicht korrigiert. Es ist nicht das erste mal, das insbesondere die Polizei Berlin durch Desinformation auffällt. So verbreitete sie bei der Räumung einer Hausbestzung die Falschmeldung, ein Türknauf stünde unter Strom, obwohl dies nicht zutreffend war.
Ich habe die Polizei Berlin bereits im Mai und erneut im Juli dazu angefragt, die Polizei Berlin äußert sich jedoch nicht. Auch von einem Gegendarstellungsanspruch wurde bis Redaktionsschluss kein Gebrauch gemacht.
Quellen
- Zitat von Kai Wegner
- Zitat von Iris Spranger
- Zitat von Alexander Dobrindt
- Versammlungsdatenbank Berlin
- Die Palästinenser und Israel: Was ist die Nakba?, Jennifer Holleis, 2024, bei: Deutsche Welle
- Bilanzmeldung der Polizei Berlin
- Pressemitteilung zum verletzten Polizisten
- Meine Analyse auf X
- Analyse von Forensis (engl.)
- Was geschah mit Polizist 24111?, Jan Heidtmann u.a., 2025, bei: Süddeutsche Zeitung
- Nakba 77 in Berlin | Protest, Polizei & Palästina von Berliner Zeitung (Video)
- Der elektrische Türknauf und die Molotowcocktails: Falschmeldungen der Polizei auf Twitter, Markus Reuter, 2018, bei: netzpolitik.org