Jugendliche Straftäter

Soll die Strafmündigkeit herabgesetzt werden?

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Diese Frage kommt derzeit häufiger vor, doch die Debatte über Jugendkriminalität entflammt nicht erst seit heute, sie ist ein Thema, dass sich, wie viele gesellschaftliche Probleme, über Jahrzehnte zieht.

Jugendgewalt (Symbolbild) | © Egoitz / AdobeStock

In diesem Artikel möchte ich mich mit dem Thema Kinder- und Jugendkriminalität/-gewalt (nachfolgend verkürzt als Jugendkriminalität/-gewalt bezeichnet) und insbesondere mit der Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auseinandersetzen.

Immer wenn die Frage aufkommt, ob man die Strafmündigkeit absenken sollte, gibt es zwei Lager. Die einen sagen: „Ja unbedingt! Alles andere bringt ja nichts.“ Die anderen sagen: „Auf gar keinen Fall! Das löst das Problem nicht.“

Ich kann die Forderung nach der Absenkung verstehen. Gegenwärtig hat jede*r das Gefühl von Kontrollverlust. Durch die Forderung nach einer Absenkung hat man vielleicht das Gefühl, man könnte etwas an Kontrolle über das Phänomen zurück gewinnen. Ob das stimmt und wie viel Erfolg das bringen würde, darüber schreibe ich diesen Artikel.

Wie groß ist das Problem?

In der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), werden zu einem Katalog an Delikten, gewisse Zahlen statistisch erhoben. So werden die polizeilich registrierten Tatverdächtigen, die Geschädigten, sowie die Anzahl der sog. endbearbeiteten Vorgänge, also Vorgänge die zur Entscheidung an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden, abgebildet.

Tatverdächtige Jugendliche, also Personen zwischen 14 bis unter 18 Jahren, gab es 2021 noch rund 148 Tausend, 2023 gab es bereits rund 188 Tausend.
Auch bei tatverdächtigen Kindern, also Personen unter 14 Jahren, gab es einen ähnlichen Anstieg. Waren es 2021 noch 62 Tausend, gab es 2023 laut PKS schon rund 91 Tausend.

Ein Anstieg der absoluten Zahlen Tatverdächtiger ist hier zum großen Teil durch das allgemeine Bevölkerungswachstum zu erklären.

Verurteilte Jugendliche gab es in diesem Zeitraum jährlich rund 22 Tausend. Insgesamt steigt die Zahl leicht an, wobei es 2022 einen leichten Rückgang an Verurteilungen gab.

In der PKS werden unter dem sog. Summenschlüssel Gewaltkriminalität insbesondere Straftaten erfasst, die eine schwerwiegende Gesundheitsschädigung (gefährliche und schwere Körperverletzungen, Raub) und/oder zum Tod führen (Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge) zusammengefasst.
Unter dem Summenschlüssel Straßenkriminalität werden insbesondere Diebstähle, Raubtaten und Sachbeschädigungen erfasst.

2021 gab es in diesen Summenschlüsseln etwa 48 Tausend Jugendliche Tatverdächtige (ca. 32%) und etwa 18 Tausend Kinder (ca. 29%). Die Zahlen für die Jahre 2022 und 2023 bewegen sich vom Prozentanteil her ähnlich.

Von rund 188 Tausend Jugendlichen Tatverdächtigen im Jahr 2023, waren etwa 62 Tausend in diesen Summenschlüsseln zu finden. Das entspricht etwa 33%.
Von rund 91 Tausend Tatverdächtigen Kindern im Jahr 2023, waren etwa 25 Tausend in diesen Summenschlüsseln. Das entspricht etwa 27,5%.

Wie auch die Analyse der PKS durch das Deutsche Jugendinstituts (DJI) zutreffend erfasst, bewegt sich die Kriminalität im Kinder- und Jugendalter zumeist in der einfachen Straßenkriminalität. Also etwa Diebstahl, Sachbeschädigung, sog. Schwarzfahren und einfache Körperverletzungen.

Gewaltkriminalität macht nur einen geringen Teil aus. Wenn Sie vorkommt, bewegt sie sich zumeist im gleichen Alters- und Geschlechtsbereich, es werden also zumeist andere Jugendliche Geschädigte.

Im Gegensatz zur Kriminalität von Erwachsenen ist die Jugendkriminalität fast ausschließlich spontan und situativ. Auch der sog. Gruppenzwang spielt eine entscheidende Rolle.

Sogenannte Mehrfachtäter*innen gibt es kaum. Wenn doch, handelt es sich zumeist um eine kleine Gruppe, die von verschiedensten Problemlagen betroffen ist.

Warum gibt es Kinder- und Jugendkriminalität?

Den größten Teil der Jugendkriminalität kann man mit dem Reifeprozess begründen. Die Kinder und Jugendlichen testen die Grenzen aus. Sowohl die Grenzen zu Hause, in der Schule, im sozialen und gesellschaftlichen Umfeld, aber eben auch die Grenzen des Erlaubten und des (gesetzlich) Verbotenen.

Eben hatte ich geschrieben, dass insbesondere Mehrfachtäter*innen von diversen Problemlagen betroffen sind.

Mehrfachtäter*innen bewegen sich zumeist in gesellschaftlichen Randgruppen. Das lässt sich auch auf die Jugendkriminalität übertragen.

Jugendliche Mehrfachtäter*innen kommen zumeist aus strukturschwachen Gegenden und wachsen in wirtschaftlich armen Verhältnissen auf. Hinzu kommt oft die elterliche Überforderung, die wiederum den Druck auf Jugendliche verstärkt.

Anzumerken ist jedoch, dass das Vorliegen entsprechender Risikofaktoren nicht automatisch zu einer kriminellen Karriere führt. Die meisten Kinder und Jugendliche, die einmal straffällig geworden sind und bei denen diverse Risikofaktoren vorliegen, entwickelt sich danach zumeist unauffällig.

Jugendliche wollen sich beweisen, wollen sich zugehörig fühlen. Wenn sie aus solchen Verhältnissen kommen, neigen sie eher dazu, sich durch straffälliges Verhalten zu beweisen, als beispielsweise durch gute Schulnoten.

Normalerweise würde hier die Jugendhilfe oder Schulsozialarbeit ansetzen und versuchen diese Risikofaktoren auszugleichen, doch sind die entsprechenden Träger überlastet und unterfinanziert, können also nahezu nichts entgegensetzen.

Was hilft?

Soviel vorweg: Die Absenkung des Strafmündigkeitsalter schonmal nicht.

Repressive Maßnahmen (welche ja im Einklang mit der Absenkung der Strafmündigkeit gefordert werden) wirken sich kaum auf die zukünftige Begehung von Straftaten aus und bereits begangene Straftaten werden dadurch auch nicht verhindert.

Repressive Maßnahmen und die einhergehende Kriminalisierung und Stigmatisierung führen im Gegenteil oft sogar zu mehr delinquentem Verhalten.

Besonders wenn bereits diverse Problemlagen vorherrschen, wirken sich repressive Maßnahmen nur weiter negativ aus. Das Erleben staatlicher Strenge kann durch die Jugendlichen auch als weitere Ausgrenzung wahrgenommen werden.

Repressive Maßnahmen, die Absenkung der Strafmündigkeit – all das bietet nur einen Nährboden für weiteres straffälliges Verhalten.

Der Fokus muss auf Resozialisierung und Prävention gelegt werden!

Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen und genau hinzuschauen. Eine Straftat kann ein Alarmsignal sein, muss es aber nicht. Wie bereits erwähnt, lässt sich der meiste Teil der Jugendkriminalität auf grenztestendes Verhalten zurückführen.

Verständnis setzt Verstehen voraus.

Wenn Erwachsene Menschen (gesetzliche) Grenzen schon nicht verstehen, dann kann man das von Kindern und Jugendlichen wohl kaum erwarten.

Es kann also helfen, wenn Eltern oder andere Bezugspersonen die Grenzen klarer aufzeigen, die Gründe für gewisse Grenzen erklären und ggf. Alternativen aufzeigen und anbieten.

Wie wird es anderswo gemacht?

In den skandinavischen Ländern orientiert man sich ebenfalls am Vorrang der Prävention. Interessant ist, man verfolgt diesen Ansatz aufgrund eines nordrhein-westpfählischen Programms.

„Kurve kriegen“ heißt das Programm, welches in NRW durchgeführt und dann auch in skandinavischen Ländern (bspw. Schweden) übernommen wurde.

Ähnliche Programme gibt es auch in anderen Bundesländern. Beispielsweise in Berlin. Hier gibt es in jeder Polizeidirektion ein Team, welches sich ausschließlich mit der Prävention bei straffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen auseinandersetzt. „Täterorientierte Intervention“ (TOI) heißt das ganze.

Weiterführende Informationen zu den Programmen finden sich nachfolgend:
Berlin: Täterorientierte Intervention
NRW: Kurve kriegen
Schweden: Rätt Kurva (EN)

Strafen sind keine Lösung

Jugendkriminalität hat viele Gesichter – und noch mehr Ursachen. Die Statistik zeigt zwar einen leichten Anstieg, doch dieser ist erklärbar und kein Grund zur Panik. Was uns stattdessen Sorgen machen sollte, sind die wachsende soziale Ungleichheit, die Überlastung der Jugendhilfe und die Tendenz zur Symbolpolitik.

Die Debatte um die Herabsetzung der Strafmündigkeit ist eine Scheindebatte. Sie soll von den Versäumnissen der Sozialpolitik ablenken und falsche Narrative schüren und bekräftigen.

Expert*innen und Politik wissen längst, dass härtere Strafen Jugendliche nicht abschrecken. Aber sie sind wesentlich einfacher, als Maßnahmen, die Kindern und Jugendlichen Chancen und Perspektiven geben.

Sozialpolitik ist teuer – Keine Sozialpolitik ist teurer.

Statt härteren Gesetze brauchen wir bessere Lebensverhältnisse, statt mehr Polizei eine starke Jugendhilfe, statt Kontrolle mehr Vertrauen in soziale Arbeit. Es braucht den Mut, langfristig in Bildung, Prävention und Teilhabe zu investieren – auch wenn das keine schnellen Schlagzeilen produziert.

Quellen